energate News: Deutschland ist nicht wasserstoff-ready

Essen/Berlin (energate) - Nach heutigem Stand ist Deutschland noch weit von seinen Wasserstoffzielen entfernt. Das ist das Ergebnis einer aktuellen H2-Bilanz, die der Energiekonzern Eon mit dem Energiewirtschaftlichen Institut der Universität zu Köln (Ewi) erarbeitet hat. Der Mangel zeige sich bei der heimischen Erzeugung, dem Import und bei der Infrastruktur für den Transport, teilte Eon mit. Die H2-Bilanz sei damit ein Weckruf für die Politik und solle künftig regelmäßig aktualisiert werden. "Diesen Wecker werden wir jetzt alle sechs Monate klingeln lassen", kündigte Eon-Vorstand Patrick Lammers bei der Präsentation der Ergebnisse an.


Die Datengrundlage der H2-Bilanz bilden aktuelle Wasserstoffprojekte, die das Ewi nachrecherchiert und in eine Datenbank eingepflegt hat, erläuterte Eren Çam, Leiter des Bereichs Rohstoffe am Ewi. Dabei wurden nur öffentlich verfügbare Informationen genutzt und nur Elektrolyseure ab einer Größe von 100 kW berücksichtigt. Mit der Momentaufnahme ergibt sich damit für den Stand Juli 2022, dass 33 Wasserstoffprojekte mit einer Gesamtleistung von 65 MW in Betrieb sind. Die durchschnittliche Projektgröße beträgt damit 2 MW. Bis Ende 2030 werden es aus heutiger Sicht 66 Projekte mit 5.607 MW sein. "Es zeigt sich ein klarer Trend zur Entwicklung größerer Projekte", so Çam. Der Durchschnitt für 2030 liegt bei 85 MW - betrachtet man nur die Projekte ab 2023 sind es sogar 190 MW im Schnitt. Um das Wasserstoffziel der Bundesregierung von 10.000 MW heimischer Erzeugung zu erreichen, reichen die aktuellen Bemühungen damit aber bei Weitem nicht aus.
 

Importlücke und fehlendes Wasserstoffnetz


Die Produktion an grünem Wasserstoff steigt laut H2-Bilanz von 166.400 kWh im Jahr 2022 auf 15,5 Mrd. kWh oder 460.000 Tonnen bis 2030. Der Schätzung liegt zugrunde, dass sich der Wirkungsgrad der Anlagen von 64 auf 69 Prozent verbessert und die Anlagen 4.000 Volllaststunden im Jahr laufen. Damit zeige sich ein "erhebliches Wachstum" bei der Wasserstofferzeugung, die um den Faktor 93 zulegen wird, so Çam. Ausgehend von der Dena-Leitstudie, die einen Wasserstoffbedarf von 66 Mrd. kWh bis 2030 unterstellt, beträgt die Importlücke Stand heute damit aber immer noch 50,5 Mrd. kWh. "Importe haben heute noch keiner Relevanz", so der Ewi-Manager. Es gebe zwar erste bilaterale Abkommen mit Australien, Katar, Kanada, Israel, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Staaten in Afrika. Beim Start der Projekte zeige sich aber eine große Zeitspanne. Manche könnten bereits 2027 die Produktion aufnehmen, andernorts dauere es bis frühestens 2035.

Eine große Diskrepanz stellt die Studie auch bei der Infrastruktur fest. Gerade einmal 417 Kilometer umfasst das heute operative Wasserstoffnetz. Dem stehen zum Vergleich 41.600 Kilometer Erdgasfernleitungsnetz gegenüber. Rund 400 Kilometer seien es allein von Wilhelmshaven nach Bitterfeld, so Gabriël Clemens, CEO der Green-Gas-Einheit von Eon. Die Diskrepanz falle noch deutlicher aus, wenn das Verteilnetz einbezogen werde. Auch im Mittelstand gebe es viele Betriebe, die in der Produktion auf Temperaturen angewiesen sind, die nicht mit Strom erreicht werden können. Diese Betriebe verfügten in der Regel nicht über einen direkten Anschluss ans Fernleitungsnetz. Bis 2030 ist aktuell ein Netzzubau von 2.273 Kilometern geplant.
 

Große Unsicherheit im Markt


Dass sich in den verschiedenen Bereichen so große Lücken zu den gesetzten Zielen auftun, liegt laut Eon-Vorstand Lammers vor allem an der Unsicherheit im Markt. Auf EU-Ebene gebe es immer noch keine Definition von grünem Wasserstoff. Der Vorschlag der EU-Kommission zur Entflechtung erlaube es langfristig nicht, Erdgas- und Wasserstoffnetze innerhalb eines Unternehmens zu führen. Deutschland müsse in Brüssel Druck machen, um zu einer pragmatischen Lösung zu kommen, forderte Lammers. In Deutschland selbst müsse die Regierung einen Finanzierungsrahmen für Investitionen in Wasserstoffprojekte schaffen und Unternehmen bei der Umstellung auf grüne Energien bei den Betriebskosten unterstützen.

Außerdem fordert Eon eine Beschleunigung bei Genehmigungsverfahren, wie sie bei LNG-Projekten schon Realität und bei Wind- und Solarprojekten geplant ist. Mit Blick auf den internationalen Wettbewerb sehen die Eon-Manager Deutschland am Scheideweg und mahnen zur Eile. Mit dem "Inflation Reduction Act" haben die USA die Investitionsbedingungen im eigenen Land so sehr verbessert, dass die gesamte Produktion an Elektrolyseuren in die Vereinigten Staaten geliefert werden könnte, so Clemens. Europa geriete dann ins Hintertreffen und müsse am Ende den ganzen Wasserstoff importieren. Mit dem Ende für russisches Gas, so Lammers, bleibe noch ein Zeithorizont von drei bis fünf Jahren, bis wichtige Industrien aus Deutschland abwandern. Auch deshalb müsse der Wasserstoffhochlauf beschleunigt werden.

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