energate News: Wasserstoff-Hochlauf braucht mehr als das Kernnetz
Essen (energate) - Seit kurzem befüllen die Fernleitungsnetzbetreiber die ersten Pipelines des Kernnetzes mit Wasserstoff. Auch der Koalitionsvertrag gab jüngst noch einmal ein klares Bekenntnis zu dem Projekt ab. Es tut sich also etwas in Sachen Wasserstoffinfrastruktur. Der Knoten für den erhofften Markthochlauf ist allerdings noch lange nicht geplatzt. Vor allem die Industrie bleibt weiter zögerlich, was Investitionen in Wasserstoff angeht. Denn das Kernnetz könne nur ein erster Schritt sein, dem weitere folgen müssen, ist etwa Badenova-Vorstand Hans-Martin Hellebrand überzeugt. "Wir müssen also nicht nur das Netz ausbauen, sondern auch heimische Erzeugung und den Import fördern sowie Industrieunternehmen bei der Umstellung unterstützen", sagte der Chef des Freiburger Regionalversorgers im Interview mit energate. Er wünscht sich an der Stelle mehr Mut von allen Beteiligten, nicht nur in der Region Südbaden, sondern bundesweit. "Wenn wir ständig die Grundsatzfrage stellen, ob Wasserstoff sinnvoll ist, dann lähmt das den Prozess."
Zögerliche Industrie
In der gesamten Wasserstoffbranche ist nämlich seit geraumer Zeit Ernüchterung eingekehrt. Verschiedene Unternehmen haben Projekte zurückgestellt, der Energiekonzern Eon etwa sein gesamtes Geschäftsfeld depriorisiert. Ein prominentes Beispiel aus der Industrie ist der Stahlkonzern Arcelor Mittal, der bei seinen Dekarbonisierungsplänen auf die Bremse getreten ist. Das Unternehmen zögert bei den finalen Investitionsentscheidungen, die die Ausrüstung einzelner Stahlwerke mit wasserstofffähigen Direktreduktionsanlagen und Elektrolichtbogenöfen betreffen.
Dass die Unternehmen derzeit eher abwarten, liegt neben der unklaren Verfügbarkeit von Wasserstoff vor allem am Preis. Zum einen für das Produkt an sich, aber auch der Transport im künftigen Kernnetz kann teuer werden. Aktuell wird im Rahmen der Bundesnetzagentur-Festlegung Wanda ein Markthochlaufentgelt von 25 Euro/kWh/h/a für das Wasserstoff-Kernnetz konsultiert. Für industrielle Benutzer ist das eindeutig zu hoch, wie diese bei einem Workshop der Regulierungsbehörde nun deutlich machten. Zum Vergleich: Das vorgeschlagene Entgelt ist im Schnitt viermal so hoch sei wie das aktuelle Fernleitungsentgelt in der Erdgasversorgung.
Pragmatismus ist gefordert
Dass solche Umstände den Umstieg für die Industrie nicht gerade schmackhaft machen, ist für Hellebrand nachvollziehbar. "Denn die Industrie steht in einem harten, internationalen Wettbewerb", so der Badenova-Vorstand. Hinzu käme, dass eine Umstellung auf Wasserstoff eine Investition mit unklarer Preisentwicklung sei. Deshalb brauche es aus seiner Sicht neben mehr Verlässlichkeit und Förderung vor allem Pragmatismus bei der Frage, welcher Wasserstoff zum Einsatz kommen soll.
Unterstützung erhielt Hellebrand dabei von Patrick Rapp, Staatssekretär des Landes Baden-Württemberg im Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus. "Wir sollten nicht das Dach decken, bevor die Wände stehen", sagte der CDU-Politiker mit Blick auf die Fokussierung auf grünen Wasserstoff. Es sei aus seiner Sicht wichtiger, im ersten Schritt "in Grundstrukturen zu investieren". Dabei gelte es auch, Fragen zu beantworten wie: Kommt der Wasserstoff über Seehäfen oder Pipelines? Und werden auch Derivate genutzt?
Viele Fragen beim Wasserstoff offen
Auch Industrievertreter drängen immer wieder darauf, die gesamte Farbpalette des Wasserstoffs zuzulassen. Dazu gehört etwa der ebenfalls in Baden-Württemberg ansässige Glashersteller Verallia, der seine Optionen für einen Umstieg auf Wasserstoff prüft. Allerdings fehlen dem Unternehmen noch verbindliche Aussagen zu "Jahreszahlen, Preisen und Mengen", wie Matthias Mönnighoff, Experte für Energietransformation, kürzlich auf einer Veranstaltung ausführte. Seiner Einschätzung nach wird der Einsatz von Wasserstoff ab einem Preis von 80 Euro/MWh interessant. Mit dem Unternehmenssitz in Bad Wurzach hat der Hersteller anderen Industrievertretern - gerade im Süden und im Osten Deutschlands - zumindest schonmal eine Sache voraus. Denn der Standort liegt in der Nähe des geplanten Kernnetzes.
Das Kernnetz soll im Süden wachsen
Allerdings gibt es für diese vielleicht nun auch wieder mehr Hoffnung. Denn der Koalitionsvertrag hat zumindest in Aussicht gestellt, dass das Netz in diesen Regionen größer ausfallen könnte als bislang geplant. Das sei ein wichtiges Signal nicht nur für die ansässige Industrie, sondern eben auch in Richtung der Nachbarländer, wie Staatssekretär Rapp betonte. Denn Baden-Württemberg ist in verschiedene europäische Netzwerke eingebunden. "So sprechen wir mit Spanien über Hafeninfrastruktur und mit Frankreich über die H2-Achse zwischen Barcelona und Marseille", benannte der Politiker zwei Beispiele. Wie wichtig an der Stelle das grenzüberschreitende Denken, auch in Sachen Regulierung, ist, zeige auch das Projekt "H2@-Hochrhein" der Badenova auf, meint Hellebrand. "Denn dort verbinden wir Infrastrukturen aus Italien, Frankreich und der Schweiz mit hiesigen Initiativen." Das Vorhaben ist das einzige reine Projekt eines Verteilnetzbetreibers im Rahmen des Wasserstoff-Kernnetzes.
"Bedarfsgerechte Weiterentwicklung"
An anderer Stelle könnte das Kernnetz dagegen schmaler ausfallen als es die jetzigen Pläne vorgeben. Der Koalitionsvertrag beschreibt eine "bedarfsgerechte Weiterentwicklung des Wasserstoff-Kernnetzes". Das bedeutet konkret, dass Netzteile erst später oder gar nicht gebaut werden könnten. Das liege daran, dass sich "wichtige Prämissen für den Hochlauf grundlegend geändert haben", wie Barbara Fischer, Geschäftsführerin des Branchenverbands FNB Gas, jüngst gegenüber energate erklärte. Dazu gehört vor allem die Wasserstoff-Nachfrage aus der Industrie, als wichtige Ankerkunden für jegliche Netzplanung. An der Stelle braucht es aus Sicht Hellebrands auch noch mehr Dialog: "Als Netzbetreiber müssen wir genau verstehen, was Erzeuger und Verbraucher benötigen - und das ist oft sehr individuell."