energate News: "Wir können wieder maßvoll investieren"

Essen (energate) - Der Energiekonzern Steag befindet sich im Umbruch. Mit dem gesetzlich verankerten Kohleausstieg bricht dem Kraftwerksbetreiber perspektivisch das bislang wichtigste Geschäftsfeld weg. Neue Ansätze sind gefragt. Ralf Schiele, Mitglied der Steag-Geschäftsführung, sprach im Interview mit energate über mögliche Wachstumsfelder. 


energate: Herr Schiele, die Steag steckt inmitten eines Transformationsprozesses. Was sind die Geschäftsfelder, die die Steag der Zukunft tragen werden? 

Schiele: Zunächst einmal hat in der aktuellen Marktsituation das Thema Versorgungssicherheit eine ganz neue Bedeutung gewonnen. Wir hatten uns auf einen Auslaufbetrieb der meisten unserer Steinkohlekraftwerke in Deutschland eingestellt und diese teilweise erfolgreich in den Stilllegungsauktionen platziert. Jetzt aber sind genau diese Kraftwerke für eine Übergangszeit ein wichtiges Element, um die aktuelle Versorgungskrise zu meistern. Dem stellen wir uns. Das heißt, wir nehmen jetzt eine enorme Umsteuerung vor. Abgesehen davon - und das wird oft verkannt - sind wir schon heute ein Anbieter von vielfältigen Dekarbonisierungslösungen für Industrie und Kommunen. Wir sind einer der Marktführer, wenn es um dezentrale Strom- und Wärmeerzeugung geht, und betreiben Anlagen an mehr als 150 Standorten. Dazu gehören viele KWK-Anlagen, die mit verschiedensten Brennstoffen laufen: Erdgas, Biomasse, Grubengas oder Geothermie für reine Wärme. 

energate: Auch andere Unternehmen haben die Dekarbonisierung als Chance erkannt, sich als Dienstleister zu positionieren. Womit will die Steag im Wettbewerb punkten? 

Schiele: Natürlich gibt es Wettbewerb. Aber der Markt bietet Platz für viele. Da habe ich keine Sorge. Was uns im Markt abhebt, ist die Kombination von technischer und energiewirtschaftlicher Kompetenz. Ich bin fest davon überzeugt, dass Dekarbonsierungslösungen genau aus dieser Kombination bestehen müssen. Nicht zuletzt hilft uns hier als zentrales Element unser Handelsbereich. Da kommen wir zwar aus der Vermarktung der konventionellen Energien, wir bieten aber schon seit Jahren Flexprodukte und Green PPAs an. 

energate: In einem volatilen Marktumfeld verändern sich die Anforderungen stetig. Mit den Lösungen von gestern können Sie heute nicht mehr punkten. Inwieweit kann man da von seinem Erfahrungshorizont profitieren? 

Schiele: Wie gesagt, im Dienstleistungsgeschäft geht es nicht allein um technische Lösungen. Nehmen Sie das Beispiel Kraft-Wärme-Kopplung, bis vor Kurzem war klar: KWK mit dem entsprechenden Förderregime ist die Lösung schlechthin für Industriekunden, die auf Eigenerzeugung setzen. Das gilt heute nicht mehr. Die bisher gekoppelte Erzeugung von Strom und Wärme fällt häufig auseinander, um stärker CO2-neutrale Lösungen einbinden und flexibel auf den Markt reagieren zu können. Deswegen brauchen Sie noch stärker als vorher die energiewirtschaftliche Kompetenz, um Lösungen aus lokaler Erzeugung, Energiebezug vom Markt und gegebenenfalls einem Wärme- oder Batteriespeicher zu kombinieren. Solche integrierten Lösungen können wir im Unterschied zu vielen Marktbegleitern anbieten. 

energate: Steag hat sich über die Tochtergesellschaft Sens auch im Solarmarkt eine Position erarbeitet. Wie ordnen Sie das Geschäftsfeld Photovoltaik ein? 

Schiele: Photovoltaik ist einer der dynamischsten Wachstumsmärkte, wenn es um Energieerzeugung geht - und zwar weltweit. Insofern spielt dieses Geschäftsfeld für unser Zukunftsgeschäft eine zentrale Rolle. Im Wesentlichen entwickeln wir Projekte, bauen und betreiben sie, veräußern sie aber an Dritte. Wir haben uns mit einer Pipeline von 7.000 MW in Südeuropa und Deutschland zu einem etablierten Player entwickelt. Wir wollen das Geschäft - auch vor dem Hintergrund unserer inzwischen verbesserten wirtschaftlichen Gesamtsituation - weiter ausbauen und nun auch selbst investieren. Das heißt, wir werden einen Eigenbestand aufbauen. Aufgrund unserer vollen Projektpipeline haben wir auch Zugriff auf entsprechende Projekte. Darum dürfte uns der ein oder andere im Markt beneiden. 

energate: Noch ist allerdings der finanzielle Handlungsspielraum durch Belastungen aus der Vergangenheit für die Steag begrenzt. Inwieweit behindert das Ihre Wachstumspläne? 

Schiele: In der aktuellen Transformations- und Restrukturierungsphase müssen wir den Gürtel schon ein wenig enger schnallen. Wir sehen mehr Projekte am Markt, als wir tatsächlich finanziell umsetzen können. Richtig ist aber auch: Unsere wirtschaftliche Situation hat sich seit Herbst 2021 deutlich verbessert. Damit können wir inzwischen auch wieder - maßvoll - investieren. Abgesehen davon ist Liquidität im aktuellen Umfeld - Stichwort Margining - für fast jeden Marktteilnehmer ein kritisches Thema. 

energate: Welche Rolle soll Wasserstoff in Ihren Zukunftsplänen einnehmen? 

Schiele: Wir als Steag glauben fest daran, dass die verbrauchsnahe Erzeugung von Wasserstoff ihren Platz im Energiemarkt der Zukunft haben wird - insbesondere zu Beginn der Markthochlaufphase. Langfristig werden wir sicherlich den Großteil des Wasserstoffs importieren, aber auch angesichts der Diskussionen um geopolitische Abhängigkeiten sollten wir Teile der Erzeugung lokal vorhalten. Wir nehmen wahr, dass die Industrie, aber auch Kommunen mit Blick auf den ÖPNV das Thema Wasserstoff weit oben auf der Agenda haben. Die brauchen jetzt Lösungen - und nicht in ein paar Jahren. Hier sehen wir einen Markt, den wir bedienen können und auch wollen. Darauf zahlen auch unsere beide Leuchtturmprojekte im Wasserstoffbereich ein: Hydroxy Walsum und Hydrohub Fenne. Bei beiden Vorhaben befinden sich potenzielle Abnehmer des erzeugten Wasserstoffs in direkter Umgebung des Elektrolyseurs. In Walsum ist der Standort von Thyssenkrupp nicht weit, in Völklingen-Fenne ist Saarstahl in direkter Nähe. 

energate: Ihre Projekte sind abhängig von öffentlicher Förderung. Wann trägt sich das Thema Wasserstoff selbst? 

Schiele: Ähnlich wie bei den erneuerbaren Energien müssen wir als Volkswirtschaft eine Förderung in Angriff nehmen, sonst kriegen wir das Thema nicht angeschoben. Man kann nicht erwarten, dass allein die Privatwirtschaft hunderte von Millionen Euro in die Hand nimmt, wenn sich das Geschäft absehbar nicht trägt. Ich sehe durchaus, dass es einen Markt für grünen Stahl gibt, der mithilfe von Wasserstoff erzeugt wird. Die Frage ist, welchen Aufpreis der Kunde für nachhaltig erzeugten Stahl zu zahlen bereit ist. Aus meiner Sicht wären die CCfDs ein probates Mittel, um diese Lücke zu schließen. Und das ist ja in der Diskussion. Auf der anderen Seite müssen wir aufpassen, dass wir den Markthochlauf nicht durch zu strenge regulatorische Vorgaben abwürgen. Der größte Kostenfaktor für die Erzeugung von Wasserstoff über Elektrolyse ist der Grünstrom. Wenn die EU mit dem Delegierten Rechtsakt zur RED-Richtlinie hohe Anforderungen an den Grünstrom stellt, der zur Wasserstofferzeugung zum Einsatz kommen soll, dann wird es schwierig. So zögern wir die Marktentwicklung unnötig heraus. 

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