Interview mit Andreas Kuhlmann, Geschäftsführer Deutsche Energie-Agentur GmbH (dena)
Was ist in diesem Jahr Neues / Wichtiges im Bereich Wasserstoff aus Ihrer Sicht passiert?
Eine ganze Menge: Nachdem im vergangenen Jahr auf deutscher und europäischer Ebene ehrgeizige Wasserstoffstrategien entwickelt wurden, nimmt dieses Jahr der Hochlauf einer Wasserstoffwirtschaft konkrete Gestalt an: Kürzlich hat die Bundesregierung 62 deutsche Großprojekte im Rahmen des europäischen IPCEI Wasserstoffprojekts ausgewählt. Die Fördergelder des IPCEI-Projekts triggern Investitionen in Höhe von 33 Milliarden Euro.
Jetzt gilt es, das Momentum zu nutzen, und die vielen geplanten Projekte auch umzusetzen. Hierfür ist die konsequente und konsistente Schaffung des nationalen Regulierungsrahmens oberstes Gebot – in Abstimmung mit den europäischen Regulierungen. Das ist die Grundlage für Planungssicherheit und Investitionsbereitschaft der Marktakteure.
Nicht nur große europäische Programme wie IPCEI zeigen: Erzeugung, Transport und Verwendung von Wasserstoff müssen in internationalen Zusammenhängen gedacht werden: So hat auch die dena in einer Forschungsstudie gemeinsam mit der finnischen LUT University über die Zukunftsmärkte der Wasserstoffderivate (Powerfuels) nachgewiesen, dass 25 Prozent des Endenergiebedarfs Deutschlands 2050 durch diese neuen Energieträger gedeckt werden könnten. Voraussetzung – der internationale Handel trägt entscheidend zur Kostensenkung bei. Erfreulich ist auch: In einigen Regionen der Welt schreitet der Ramp-up von Produktionsanlagen oder Logistik-Hubs zügig voran – übrigens oftmals mit Know-how aus Deutschland.
Was muss vor oder nach der Bundestagswahl schnellstens umgesetzt werden?
Die Novelle des Klimaschutzgesetzes (KSG) ist der Gradmesser mit klaren Zielen und einen konkreten Planungshorizont für Emissionsminderungen. Die neue Bundesregierung wird ambitionierte Maßnahmen und Konzepte benötigen, um die gestrafften Ziele zu erreichen. Dazu bedarf es einer erheblichen Veränderungsdynamik in weiten Teilen des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens. Die neue Regierung muss hier klare Akzente setzen und auch die soziale Dimension der Maßnahmen berücksichtigen. So müssen zusätzliche Kostenbelastungen der Bürgerinnen und Bürger kompensiert werden.
Beim Wasserstoff sollte aus unserer Sicht ein klarer Fokus auf die Skalierung gelegt werden: Zur Umsetzung der integrierten Energiewende brauchen viel mehr Wasserstoff produktionsseitig – und wir müssen dabei immer den Blick auf das Machbare werfen und die Umsetzung forcieren. Aber wir müssen auch entsprechende Anreize auf der Nachfrageseite setzen und sollten hier alle Sektoren berücksichtigen. Um die Klimaziele zu erreichen sollten wir alle Möglichkeiten einer CO2-freien Energienutzung nehmen. Je mehr Optionen wir haben umso besser.
Was brauchen wir "weniger" für die weitere Entwicklung der Wasserstoff-Ökonomie - was "mehr"?
Mit Blick auf die konkrete Umsetzung wünsche ich mir zuweilen weniger Zaghaftigkeit, eine zielgerichtete Diskussionskultur vor allem aber eine Hands-On-Mentalität: Der Ball liegt jetzt auf dem Elfmeterpunkt.
Konkret empfehlen wir beim Aufbau einer Wasserstoff-Wirtschaft drei zentrale Punkte:
Ein konsequentes Innovationsmanagement. Dazu zählen ein geeignetes Innovationsumfeld mit entsprechendem Funding, eine Stärkung der Gründer- und Innovationskultur, der Fokus auf die Skalierung von Innovationen und schlussendlich ein Wissenstransfer bei achtsamem Umgang mit geistigem Eigentum.
Eine Orientierung an den Gesetzen und Gesetzmäßigkeiten der Marktwirtschaft und der Preisbildung: Wasserstoff wird perspektivisch eine weltweit gehandelte Ware und der Preis wird in Zukunft klar über Angebot, Qualität und Nachfrage definiert. Davor werden wir aber eine Transition zu den nachhaltigen Märkten durchlaufen, in der wir in Innovationen sowie in die Entwicklung von fairen Marktmechanismen Zeit, Geld und Ideen investieren müssen.
Eine Kultur der Technologieoffenheit. Wir brauchen eine offene Diskurskultur über Technologien und Anwendungen entlang der klaren Leitlinie der Klimaneutralität. Uns stört ein wenig, mit welcher Hartnäckigkeit und Selbstverständlichkeit in manchen Diskussionspanels die Zukunft bestimmter Technologien nur in bestimmten Anwendungsfeldern gesehen wird. Dabei sollte doch eigentlich klar sein: Wir benötigen alles, was uns zum Erreichen der Klimaziele hilft, also: Batterie und Brennstoffzelle, Elektron und Molekül.
Welchen Beitrag leisten Sie in Ihrer Funktion / in Ihrem Unternehmen?
Seit rund einer Dekade begleitet die dena Wasserstoff-Akteure aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft. Wir sehen unsere wichtigsten Beiträge zum einen darin, Menschen zusammenzuführen, Ideen auszutauschen und damit den Boden für die Marktentwicklung zu legen. Aktuelles Beispiel dafür ist unser Projekt Global Alliance Powerfuels, die als eine der ersten Institutionen überhaupt grüne, synthetische Energieträger auf Wasserstoffbasis in die internationale Diskussion einbrachte und mittlerweile an der Umsetzung von konkreten Projekten weltweit mitwirkt.
Zum anderen liefern wir mit unseren Studien, Szenarien, Analysen das theoretische Rüstzeug zur Antizipation des Marktgeschehens. Dabei – und dadurch unterscheiden wir uns von anderen Anbietern – orientieren wir uns stets an dem Machbaren und würdigen den Input unterschiedlichster Marktakteure.
Der Anspruch der dena ist dabei immer, neue Entwicklungen frühzeitig zu erkennen und entsprechende Angebote zu schaffen wie die Plattform H2-dezentral. Wir sind der Überzeugung, dass in den Regionen, im Mittelstand und im Gebäudesektor noch viel Potenzial schlummert, das wir unter dem Aspekt der Dezentralität im Markt freisetzen wollen.
Wir haben bei der dena Experten-Teams für Wasserstoff und in nahezu jedem Projekt der dena – von der Digitalisierung über den Gebäudesektor bis hin zur Energieeffizienz – bauen wir gerade zusätzliche Wasserstoffkompetenz auf. Die Lernkurve ist sehr steil. Die dena möchte damit ihrer Position als zentraler Impulsgeber im Zukunftsthema Wasserstoff weiter ausbauen.
Das Thema bringen wir auch aktiv auf Konferenzen und Veranstaltungen, wie der beyondgas 2021.
Worüber möchten Sie in diesem Zusammenhang auf beyondgas 2021 sprechen?
An meinem Redebeitrag feile ich gerade noch. Aber so viel sei schon verraten: Er wird mit Sicherheit auch das Innovationsthema aufgreifen. Denn dieses ist ein Dreh- und Angelpunkt für Wasserstoff – und für die Energiewende insgesamt.